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30.05.2021

Über den Versuch, eine sachliche Debatte über Lerngeschichten zu führen                                 

 

von Sibylle Haas

Können Sie sich noch daran erinnern - im letzten Herbst haben wir zur Kenntnis genommen, dass in der Pädagogischen Rundschau, einer renommierten erziehungswissenschaftlichen Online-Fachzeitschrift, eine aus vielerlei Hinsicht unsachliche und unfaire Kritik an Lerngeschichten erschien:

 

Veronika Verbeek:

Bildungs- und Lerngeschichten in der Kindertagesstätte. Kritik einer Methode, 2/2020 S.185-196.

 

Mehrere Stellungnahmen von Netzwerker*innen sind im Newsletter Nr. 41, November 2020 des Bundesweiten Netzwerk Lerngeschichten als Downloads erschienen.

 

Nun wurde meine ausführlichere Bitte um Richtigstellung und Ergänzung in der Pädagogischen Rundschau 2/2021 ab Anfang Mai, also gut ein Jahr später, veröffentlicht, und zwar ganz hinten, in der Rubrik "Rundschau" - im Inhaltsverzeichnis nicht vermerkt - aber immerhin! Hier ist diese Ausgabe als Download abrufbar: https://www.peterlang.com/fileasset/Journals/PR/PR022021e_book.pdf, S. 239 ff.

 

In der Zwischenzeit hatte ich eine E-Mail-Korrespondenz mit Frau Verbeek, jeweils 4 Nachrichten, hin und her. Ich fand es schon sehr erstaunlich, wie eine Hochschullehrerin meinen sachlichen Erklärungen begegnet und welche Art von Argumentationen da so auftauchen. Ich will versuchen, das hier zusammenzufassen, vielleicht eine Hilfe für ähnliche Auseinandersetzungen an anderer Stelle?

 

Meine Zusammenfassung hat 2 Teile: 

Zuerst geht es um den Vorwurf der Ideologisierung, der im hier nochmal zitierten Absatz deutlich wird. Danach gehe ich ausführlich auf die von Frau Verbeek in ihrem Artikel als 10 Denkfehler bezeichnete Positionen ein und auf ihre Kritik aus praktischer Perspektive.

 

Zu diesem zweiten Teil schreibt Frau Verbeek: „Ich kann ihre sachbezogenen Argumente aufnehmen" und „Ihre tiefe Kenntnis von Lerngeschichten beeindruckt". Auf meinen Hinweis, eine pauschale Kritik einer Methode müsse sich doch auch auf entsprechende Literatur und Originalquellen beziehen, kommt die Antwort von Frau Verbeek: "Man muss aber nicht alles gelesen haben... Und die Pädagogische Rundschau erlaubt nur 50 Literaturangaben." 

 

"Lassen Sie uns doch einfach unterschiedlicher Meinung sein. Für mich geht das gut" - so das Ende des Diskurses! Eine fachliche Auseinandersetzung stelle ich mir jedoch anders vor und wie argumentiert Frau Verbeek wohl in Prüfungen?

 

Zum Vorwurf der Ideologisierung

Hier ein Zitat aus dem besagten Artikel von Frau Dr. Verbeek (S. 188/189):

„Vor dem Hintergrund der Hauptbotschaft, „das Lernen des Kindes als ‚magic moments‘ zu begreifen“ (17), werden dann auch aktuelle Buchtitel wie ‚Das Lernen feiern: Lerngeschichten aus Neuseeland‘ und ‚Begeisterung teilen: Lerngeschichten in die Praxis tragen verständlich‘ (18). Von wissenschaftlicher Distanz, Ausgewogenheit in der Betrachtung oder der forschenden Haltung, dass alles prinzipiell auch ganz anders sein könnte, keine Spur. Alle drei Geschichten über die Verbreitung von Bildungs- und Lerngeschichten seit 2007 machen deutlich, dass die Einführung der neuen Dokumentationsmethode in der Kindertagesstätte unter Ideologieverdacht steht. Die berichteten Ereignisse sprechen vom Verbot einer kritischen Einschätzung, dem Verschweigen von Nachteilen, von Emotionalisierung und dem Einsatz von Experten als Eminenzen.“

Am 22.10.2020 schreibt Frau Verbeek, sie fände die "Kritik an meiner Position nachvollziehbar und spannend"... "Bitte betrachten Sie den Beleg einer These mit ihren Publikationen nicht als Rufschädigung. Das war weder Absicht noch Ziel einer wissenschaftlichen Belegpraxis." 

Am 31.01.2021, nachdem sie auf der Webseite des bundesweiten Netzwerkes Lerngeschichten meine Stellungnahme gelesen hat, kommt eine andere Antwort. Da werden die Buchtitel als ein Beleg für die Neigung zur Emotionalisierung von kindlicher Entwicklung bezeichnet. Diese Emotionalisierung sei ein Aspekt von Ideologisierung, die man am einseitigen Fokus auf Selbstbildung, "wie auch andere pädagogische Erfindungen" erkennen könne. Also schließe ich daraus: wenn wir davon ausgehen, dass Gefühle bei der kindlichen Entwicklung eine Rolle spielen, und dass Kinder sich selbst bilden (da die Umwelt sie nur dazu anregen oder auch daran hindern kann), dann sind das schlichte Erkenntnisse - aber warum müssen wir uns dann mit dem Ideologieverdacht auseinandersetzen?!  Was für ein Interesse steckt dahinter? Ganz zu Beginn der Korrespondenz schlug Frau Verbeek vor, den Ideologiebegriff zu definieren. Im Wörterbuch finde ich die folgenden Definitionen, die meine Frage nicht beantworten:

 

Ideologie: Substantiv, feminin [die]

1.1.  an eine soziale Gruppe, eine Kultur o. Ä. gebundenes System von Weltanschauungen,  

        Grundeinstellungen und Wertungen - "eine bürgerliche, demokratische Ideologie"

1.2.  politische Theorie, in der Ideen (2) der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele dienen (besonders

        in totalitären Systemen) - "eine faschistische, kommunistische Ideologie"

 

Nun zu den als „10 Denkfehler“ bezeichneten Positionen in Abschnitt 4 des Artikels und zur Kritik aus praktischer Perspektive in Abschnitt 5 aus meinem Schreiben an Frau Verbeek am 07.02.2021:

 

1. Expansiver Bildungsbegriff: Lerngeschichten nach den neuseeländischen Grundgedanken beziehen sich auf einen ganzheitlichen Begriff von Lernen, der Begriff Bildung ist beim Übertragen auf deutsche Verhältnisse hinzugekommen.

2. Bildung ist mehr als Selbstbildung: Lernen geschieht im Dialog mit Menschen und Dingen, diesen Prozess kann man wunderbar mit Lerngeschichten aufzeigen. Das ist seit langem mein/unser Credo. Das Menschenwesen lernt nicht nur allein für sich, es ist abhängig von anderen und guten Bedingungen, aber nur es allein kann es tun. Fremdlernen gibt es ja wohl nicht, nur mehr oder weniger strukturiert angeleitetes Lernen.

3. Selbstbildung kann überfordern: ... sie unterstellt Eigenaktivität und Zielgerichtetheit. Nach der Leuvener Engagiertheit-Skala beginnt Lernen bei Interesse und aktivem Handeln. Kinder brauchen behutsame Begleitung, anregendes Material und Zuspruch für die nächsten Schritte. Nichts anderes wird bei der Arbeit mit Lerngeschichten vertreten. Wenn Sie mit Selbstbildung meinen, die Kinder sich selbst zu überlassen, dann benutzen Sie diesen Begriff missverständlich und irreführend.

5. Offene Beobachtungen: Wir haben vielfach die Beobachtung gemacht, dass Erzieherinnen dabei Kinder anders, aufmerksamer beobachten und besser deren Interessen erkennen und sich daraus auch beziehungsstiftende Kontakte entwickeln. Das mag Ihnen befremdlich erscheinen, es ist aber so. Dass sozial erwünschtes Verhalten bei offenen Beobachtungsformen mehr auftreten oder "zur Schau" gestellt werden könnte als bei strukturierten, das erschließt sich mir nicht.

6. Einseitige Stärkenorientierung erzeugt ein Paradoxon: Das scheint mir ein Missverständnis zu sein. Stärkenorientierung heißt, von den positiven Ansätzen auszugehen, die vorhanden sind und dann weiterzugehen. ‚Learning Stories travel in time‘ sagen die neuseeländischen Kolleginnen. Es gibt ein vorher und ein nachher, gemeinsam definierte Ziele muss ich doch nicht als Defizit definieren.

7. Einseitige Stärkenorientierung tabuisiert Förderbedarf: Dieser Abschnitt zeigt eine Reihe von Unterstellungen, die in Zusammenhang mit der Praxis von Lerngeschichten in Kindertagesstätten hier nicht belegt sind. Es schließt sich auch nicht aus, bei einem sich andeutenden Förderbedarf zusätzlich zu Lerngeschichten weitere entsprechende Beobachtungen anzustellen.

8. Bildungs- und Lerngeschichten haben eine schlechte Ökonomie: Hier sitzt ein weit verbreitetes Unverständnis, was Lerngeschichten angeht: sie sind eine formative, keine summative Form von Assessment. Sie wollen keine kurze, zusammenfassende und möglichst umfassende Zustandsbeschreibung sein, sondern verstehen sich als eine Form der Beobachtung und Dokumentation selbst gewählter kindlicher Lernschritte, mit dem Ziel, das Lernen zu formen und zu fördern. Sie leben vom Dialog aller Beteiligten. 

Der erforderliche Zeitaufwand ist je nach Erfahrung unterschiedlich hoch. Ein Vergleich mit anderen Beobachtungsmethoden müsste neben dem Zeitfaktor auch den Nutzen und vor allem die Wirkung auf die Beteiligten berücksichtigen. Ich erinnere nur an die 159 Fragen des von Ihnen empfohlenen KOMPIK Verfahrens.

9. Bildungs- und Lerngeschichten sind nicht anschlussfähig: Wenn es zutreffen sollte, dass keine der unterschiedlichen Fachkräfte, die Sie da aufführen, "agiert ohne interindividuelle Vergleichsnorm, um das Kind zu verstehen und zu fördern", dann wäre das eine sehr traurige Tatsache, die ich nicht glauben mag und die ein Licht werfen würde, auf formalisierte Strukturen in unserem Bildungs- und Fördersystem. 

Können Sie mir ein Beispiel für eine interindividuelle Vergleichsnorm nennen? 

Glauben Sie nicht, dass der individuelle Blick auf ein Kind ihm eher gerecht wird und im Endeffekt auch mehr Leistung hervorbringt?

Es ist doch interessant, dass in China drei übersetzte Bücher über Lerngeschichten von Margaret Carr und Wendy Lee zu den 100 dort meistgelesenen Fachbüchern gehören. Auf einer Tagung habe ich erlebt, wie junge chinesische Wissenschaftlerinnen sich bemühen, an der Umstrukturierung des dort noch sehr eng strukturierten Bildungssystems in Richtung mehr Förderung individueller Fähigkeiten mitzuwirken.

10. Für Bildungs- und Lerngeschichten gibt es keinen Wirknachweis: Berichte über die Wirksamkeit von Lerngeschichten zeigen Ihnen nicht ausreichende "weiche Evidenzkriterien". Sie zitieren K. Blaicklock, 2008, der feststellt, dass Lerngeschichten als qualitative Feldforschung verstanden, nicht mit quantitativen Mitteln gemessen werden können. Sie können behaupten, dass Ihnen die vorhandenen Wirknachweise nicht ausreichen. Das wäre fairer. Und ja, es gibt zu wenig Forschung zu Lerngeschichten.

 

Ihre Kritik aus praktischer Perspektive (Abschnitt 5):

Blaicklock schreibt 2008 über Durchführungsprobleme, die Sie zitieren. Sie schreiben über Ihre Vermittlungsprobleme. Sie erwähnen nicht, dass in den letzten 12 Jahren auch Weiterentwicklungen und neuere Literatur und Arbeitshilfen in Neuseeland entwickelt wurden, und dass es auch hier Initiativen und Literatur gibt, um die Einführung von Lerngeschichten zu erleichtern. Da die Materialien des Deutschen Jugendinstituts durch die Implementierung in Deutschland einen Teil der ursprünglichen Gedanken aus Neuseeland nicht berücksichtigen, sind Irritationen in der Praxis entstanden, mit denen ich mich ausführlich auseinandergesetzt habe. Offensichtlich in Ermangelung einer passenden Alternative hat Blaicklock sich 2011 übrigens zu einer Variation von Learning Stories bekannt: Learning Notes mit den 3 Bestandteilen beschreiben, interpretieren und nächste Schritte. Dabei sind seine ausführlich dargelegten Kritikpunkte an Lerngeschichten offensichtlich verschwunden.

Sie kritisieren, dass "ein alltagssprachliches Verständnis von Lerngeschichten, kein professionelles" dominiere. Damit zielen sie darauf ab, dass Lerngeschichten in möglichst für Kinder und Eltern verständlicher Sprache formuliert werden sollen. Das ist eine besondere Herausforderung für die Fachkräfte. Dass dies unprofessionell sei, ist mir nicht verständlich. In Ministerien und Museen z.B. gibt es Menschen, die komplexe Inhalte in einfacher Sprache für alle ausdrücken. Demokratische Teilhabe und Transparenz im Bildungswesen haben auch mit verständlicher Sprache zu tun.

 

Sie zitieren nun noch ausführlich die Untersuchung von Frau Prof. Knauf. ... Sie hat mich um eine Stellungnahme zu ihrer Analyse von Lerngeschichten gebeten. In einigen Aspekten konnte ich ihr zustimmen, einigen der Schlussfolgerungen musste ich widersprechen. Sie hat sich für mein "ausführliches, überaus hilfreiches Feedback" bedankt. Bei Interesse kann ich Ihnen weitere Details dazu mitteilen.

 

Nachdem wir uns nun beide hier bis zum Ende durchgearbeitet haben, werden Sie erkennen, dass ich durchaus berechtigte Zweifel haben darf, ob das, was Sie unter Bildungs- und Lerngeschichten verstehen und meine Sicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Und Sie werden verstehen, dass ich ihren Artikel mit den pauschalen Abwertungen so nicht stehenlassen kann.

Richtig ist natürlich, dass Kita-Teams, die sich mit Lerngeschichten auseinandersetzen wollen, eine ausführliche Einführung und Begleitung brauchen (wie in andere Arbeitsmittel auch), dass diese Arbeit mit der Hauskonzeption und dem Bildungsprogramm des jeweiligen Bundeslandes in Übereinstimmung gebracht wird, dass es in Zeiten des Fachkräftemangels besonders schwierig ist, Kinder nicht nur zu beaufsichtigen, sondern angemessen zu fördern und das dann auch noch zu dokumentieren. 

Die Lage ist schwierig, aber doch nicht hoffnungslos.

 

Ich freue mich über eine Antwort von Ihnen. Wenn Sie es zeitlich besser vereinbaren können, wäre ich auch zu einem vorher vereinbarten Termin für ein Telefonat bereit. 

 

Mit freundlichen Grüßen 

Sibylle Haas

 

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Über den Versuch, eine sachliche Debatte
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07.11.2020

Erläuterungen und Stellungnahme zum Artikel von Veronika Verbeek für die Website des Bundesweiten Netzwerkes Lerngeschichten                                      

 

von Sibylle Haas

In der Pädagogischen Rundschau ist im März 2020 ein Artikel  über Lerngeschichten erschienen, der  durch die Art, wie dort Kritik an Lerngeschichten geübt wird, einige von uns Lerngeschichtenvertreterinnen aufgebracht hat: Veronika Verbeek: Bildungs- und Lerngeschichten in der Kindertagesstätte. Kritik einer Methode, 2/2020 S.185- 196. https://www.peterlang.com/fileasset/Journals/PR/PR_02_2020_issue.pdf

 

Die Pädagogische Rundschau ist eine online-Zeitschrift, in der WissenschaftlerInnen aus dem deutsch-sprachigen Raum ohne Honorar ihre neuen Ergebnisse veröffentlichen können. Für die wissenschaftliche Karriere sind möglichst lange Listen von Veröffentlichungen sehr hilfreich. 

Einige von uns wollten die unsachlichen Vorwürfe in diesem Artikel nicht einfach so hinnehmen: 

Isolde Kock hat sich mit einem Brief persönlich an die Autorin gewandt.

Kornelia Schneider hat eine sehr ausführliche Replik geschrieben, die von der Redaktion als Gegendarstellung nicht veröffentlicht wird, die aber hier nachzulesen ist.

Ich selbst, Sibylle Haas, habe auch eine sehr viel kürzere Bitte um Richtigstellung und Ergänzung formuliert, nicht zuletzt weil meine harmlosen Buchtitel  „Das Lernen feiern …“ und „Begeisterung teilen…“ angeführt werden als Beispiel  für Ideologieverdacht. Diese Stellungnahme habe ich sowohl an die Autorin als auch an die Redaktion geschickt. Sie wird im Jahrgang 2021 veröffentlicht, darf aber im Wortlaut vorab hier noch nicht erscheinen. Deshalb versuche ich hier eine Zusammenfassung meiner Kritik an diesem Artikel. Die Autorin will sich im November bei mir melden. In einer ersten kurzen Stellungnahme fand sie die kritische Betrachtung ihrer Position nachvollziehbar, eine Klärung des Begriffs Ideologie wäre hilfreich und sie „argumentiere aus einer wirkorientierten Praxis heraus.“

 

Worum geht es eigentlich?

Ich beziehe mich zunächst auf den 3. Abschnitt „Ideologisierung individualisierter Bildung“ und zitiere hier einen Abschnitt, damit die Aufregung nachvollziehbar wird, auch ohne den ganzen Artikel zu lesen:

 

„Vor dem Hintergrund der Hauptbotschaft, „das Lernen des Kindes als ‚magic moments‘ zu begreifen“(17), werden dann auch aktuelle Buchtitel wie ‚Das Lernen feiern: Lerngeschichten aus Neuseeland‘ und ‚Begeisterung teilen: Lerngeschichten in die Praxis tragen verständlich‘ (18). Von wissenschaftlicher  Distanz, Ausgewogenheit in der Betrachtung oder der forschenden Haltung, dass alles prinzipiell auch ganz anders sein könnte, keine Spur. Alle drei Geschichten über die Verbreitung von Bildungs- und Lerngeschichten seit 2007 machen deutlich, dass die Einführung der neuen Dokumentationsmethode in der Kindertagesstätte unter Ideologieverdacht steht. Die berichteten Ereignisse sprechen vom Verbot einer kritischen Einschätzung, dem Verschweigen von Nachteilen, von Emotionalisierung und dem Einsatz von Experten als Eminenzen.“

 

Ich finde diese schwerwiegenden Vorwürfe können im besten Fall zu neuen Dialogen führen.

Zwei der erwähnten Ereignisse sind leicht zu erklären. Frau Verbeek wittert unsachliche Emotionalisierung, weil beobachtet wurde, dass die extrem kritische Stimmung von Fortbildungsteilnehmerinnen gegenüber Bildungsdokumentationen nach einer dreitägigen Fortbildung  bei den Beteiligten einer Begeisterung über den ressourcenorientiertem Blick gewichen war. Und bei einem Vortrag von Wendy Lee hört sie viele Begriffe wie inspiring, magic, mystic, enthusiastic, overwhelming und vermisst den Bezug zu ihren wissenschaftlichen Grundlagen. 

 

Um es kurz zu machen:

Der ganze Artikel basiert auf  mindestens  4 Missverständnissen, die die Autorin bei genauerem Hinsehen hätte erkennen können. Sie zeigen, dass sie den wesentlichen Kern von Lerngeschichten nicht erfasst hat. Das macht es dann auch schier unmöglich, sich mit den von ihr zusammengestellten „10 Denkfehlern“ bezogen auf Lerngeschichten auseinanderzusetzen.

 

1. Gefühle spielen in der Pädagogik eine größere Rolle als bislang erkannt und zugegeben wird. Es geht darum, sie zu erkennen, in den Dialog einzubeziehen, sich ihrer Wirkung bewusst zu werden. (teilnehmende Beobachtung)

2. Lerngeschichten sind keine Methode um den Entwicklungsstand eines Kindes in verschiedenen Bereichen zu erfassen (summative assessment), sie haben die Aufgabe, Lernprozesse zu beobachten, zu begleiten und anzureichern (formative assessment).

3. Es ist richtig, dass die Praxis von Lerngeschichten in Deutschland noch nicht hinreichend erforscht wurde. Das trifft für etliche pädagogische Handlungsfelder zu. Es ist aber unfair, erfahrungsbasierte Erkenntnisse, die aufgrund von wissenschaftlichen Befunden und Überlegungen gewonnen wurden, deshalb als ideologieverdächtig  und unkritisch hinzustellen.

4. Es gibt sehr unterschiedliche Formen und Bedingungen, eine Methode der Beobachtung und Dokumentation kindlicher Entwicklung in die Praxis einzuführen, und  deshalb kann es auch sehr unterschiedliche, auch gegensätzliche, Wirkungen und Resonanzen darauf geben. 

 

Die Methode deshalb an sich und auch die Urheberinnen und ihr wissenschaftliches Fundament  in Frage zu stellen, ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen und wird der Sache nicht gerecht.

Wenn der Artikel von Frau Verbeek den Anstoß gibt, sich immer mal wieder auf wissenschaftliche Grundlagen und Erkenntnisse zu beziehen und sich mit den vorhandenen Texten auseinanderzusetzen, dann hätte er sogar einen Nutzen. 

Es ist sehr schade, dass es diese beiden Bücher nicht auf Deutsch gibt und es ist so mühsam, das Wesentliche rauszufiltern. Vielleicht packen wir das ja mal an???

Carr, M., Lee, W. : Learning Stories. Constructing Learner Identities in Early Education, Sage Publishers, 2012

Carr, M., Lee, W.: Learning Stories in Practice, Sage Publishers, 2019.

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Stellungnahme von Sibylle Haas zum Download:
Für die webseite _Sibylle Haas.pdf
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Brief an Veronika Verbeek                                                                          

von Isolde Kock 

Sehr geehrte Frau Dr. Verbeek,

 

auf Ihren Artikel Bildungs- und Lerngeschichten in der Kindertagesstätte: Kritik einer Methode möchte ich Ihnen gerne antworten. Ich bedaure es sehr, dass Lerngeschichten bei Ihnen so schlecht wegkommen. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen meinen überaus erfreulichen Zugang zu Lerngeschichten als Geschichte zu präsentieren.

Seit dem Jahr 2006 kenne ich das neuseeländische Early Childhood Curriculum Te Whâriki und die daraus erwachsenen Learning Stories. Meine Sicht war die der Ausbilderin von Erzieher_innen.

Aus dem Jahr 2006 und 2007 existieren Lerngeschichten, die Schülerinnen der Fachschule für Sozial-pädagogik im Praktikum angefertigt haben. Wie Sie aus den Jahreszahlen sehen, gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine schriftlichen Quellen des DJI zur Unterrichtung der Fachschüler_innen. Für den Unterricht nutzte ich Frühpädagogik International von Wassilios E. Fthenakis und Pamela Oberhuemer, daraus den Artikel Te Whäriki: Neuseelands frühpädagogisches Curriculum 1991 – 2001 von Helen May/ Margaret Carr/ Val Podmore /1). Mich überzeugte dieser Artikel, auch im Vergleich zu Einblicken in die Pädagogik anderer Länder, die das Werk von Fthenakis/Oberhuemer bietet.

Im Internet war zudem das Curriculum Te Whâriki zugänglich. 2) Die frühe Kindheit wird dort schon im Vorwort als die Zeit beschrieben, in der Kinder „wenn diese Zeit vorüber ist, ein Konzept über sich als soziale Wesen, als Denker, als Nutzer von Sprache“ entwickelt haben und sie werden in diesem „Lebensabschnitt von prägender Relevanz“ „bereits bestimmte wesentliche Entscheidungen über ihre eigenen Fähigkeiten und ihren eigenen Wert getroffen haben“. So deutlich und hervorgehoben hatte ich diese Wahrheit bis dahin noch in keinem Beitrag gelesen, der für Pädagogik der frühen Kindheit verfasst worden war.

Es kann auch sein, dass mich der Artikel der Neuseeländerinnen und die Einleitung des Curriculums deshalb so nachhaltig berührten, weil ... Es folgen noch spannende Gedanken - deshalb gleich herunterladen und weiterlesen!

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Den ganzen Brief von Isolde Kock zum Download:
Kritik Meth Lerng Antwort Kock 201019.pd
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Replik zum Artikel von Frau Verbeek                                                        

von Kornelia Schneider

 

Schon die Überschrift lässt vermuten, dass die Autorin nicht viel übrig hat für Lerngeschichten. Wenn mich nicht interessierte, worauf die Autorin aus ist, würde ich schon nach dieser Überschrift aufhören zu lesen. Denn wer davon ausgeht, dass es sich nur um eine Methode – eine neben vielen anderen möglichen – handelt, hat weder den Geist der Lerngeschichten erfasst noch den Hintergrund und Sinn dieses Ansatzes verstanden.

Klar ist: Sie will Kritik üben an einer Methode. Oder meint sie, in einer Methode wäre Kritik enthalten? Das gilt es zu erkunden. Ich will wissen, was genau sie kritisiert und vor welchem Hintergrund sie das tut.

Nach dem Lesen des gesamten Beitrags bin ich der Meinung, er ist es nicht wert, sich damit auseinanderzusetzen. Denn er ist voller Widersprüche. Es ist schwer, den Argumentationslinien zu folgen, weil sie dauernd wechseln. Und leider geht aus dem Artikel nicht hervor, wofür die Autorin selbst ist. Ich musste es mir aus den Stichworten an verschiedenen Stellen zusammen reimen. Erst im vorletzten Satz rückt sie damit heraus, was ihr Favorit ist. Sie erklärt KOMPIK – einen Beobachtungs- und Einschätzbogen für Kinder von 3,5 bis 6 Jahre zu einem praxistauglichen Verfahren, um Kompetenzen und Interessen von Kindern zu erfassen (S. 194). Da sie KOMPIK jedoch nicht beschreibt und auch nicht begründet, worin der Vorteil gegenüber Lerngeschichten ihrer Meinung nach liegt, gibt es keinen Anhaltspunkt für einen konstruktiven Dialog, der Gelegenheiten böte, in eine fachliche Auseinandersetzung einzutreten, unterschiedliche Theorien, Ansätze und Verfahren miteinander zu vergleichen und Vor- und Nachteile zu benennen, um daraus zu lernen.

Ich nehme dennoch Stellung zu diesem Beitrag, weil mir daran liegt, Irrtümer, Missverständnisse und Fehlinformationen in Bezug auf die Arbeit mit Lerngeschichten auszuräumen. Mir ist – als engagierte Vertreterin der Arbeit mit Lerngeschichten, als Vertreterin einer offenen Pädagogik, die Subjekt orientiert, Prozess orientiert, Ressourcen orientiert und Dialog bewusst vorgeht, – wichtig, das Verständnis weiter zu vermitteln, das ich aus erster Hand von den Expertinnen für die Arbeit mit Lerngeschichten in Neuseeland kennen gelernt habe.

Offensichtlich ...  - Gespannt, wie es weitergeht? Bitte Datei herunterladen zum Weiterlesen!

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Replik von Kornelia Schneider zum Download:
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01.03.2016

Informationen zum Vernetzungstreffen in Stuttgart als Download

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Einladung Vernetzungstreffen in Stuttgart am 01.03.2016
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Präsentation von Kornelia Schneider in Stuttgart am 01.03.2016
Essenz LernG Kornelia Schneider 01_03_20
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Dokumentation des Vernetzungstreffens in Stuttgart am 01.03.2016
Dokumentation ExpertInnentag 01_03_16201
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November 2014

Informationen zum Vernetzungstreffen im Jagdschloss Glienicke 2014

Näheres zum Vernetzungstreffen am SFBB, Jagdschloss Glienicke im November 2014 finden Sie auf der Website von Isolde Kock: http://bekanntesneuland.jimdo.com