Lerngeschichten Praxis

 

 

Lerngeschichten-Dialog

 

mit Daniela und Susanne

 

 

Teil 1

Liebe Daniela,

 

du hast mich vor Kurzem daran erinnert, wie ich die Neuseeländerinnen zum ersten Mal in Hamburg kennengelernt habe. Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie berührt ich war, dass sie uns zum Dank gesungen haben. Es war ein sowieso schon beeindruckendes Maori-Lied, das mir unter die Haut ging. Aber noch intensiver fand ich es, dass sie uns als Gäste ein Lied als Dank für die Einladung mitgebracht haben. Ich habe das als eine mir bis dahin ungewohnte Art der Wertschätzung von Kontakt und Austausch erlebt. Die Neuseeländerinnen halten inne und benennen das Besondere des Teilens und Austauschens von (Lebens-)Erfahrungen. Das habe ich sehr verinnerlicht und versuche es seitdem ähnlich zu tun. Damals kannte ich aber die Lerngeschichten noch kaum und deshalb bin ich neugierig, wie dein erster Kontakt mit den Neuseeländerinnen dir in Erinnerung geblieben ist? Und außerdem wüsste ich gerne, ob das auch einen Einfluss auf deine    

                                          Lerngeschichten gehabt hat?

 

                                          Ich bin gespannt auf deine Antwort!

 

                                          Susanne

Liebe Susanne,

 

Deine Erinnerung an Deine Begegnung mit den neuseeländischen Fachfrauen weckt in mir auch gleich das schöne Gefühl eines persönlichen „magic moment“. Meine erste Begegnung mit ihnen war im Juli 2010.

6 Jahre lang hatten wir in unserem Team schon mit Lerngeschichten schreiben verbracht. Bisher war es ein sehr sachliches, objektives Dokumentieren gewesen. Nun erlebten wir auch in München einen Fachtag, von dem ich behaupte, er hat bei den meisten Anwesenden viel Erkenntnis gebracht. Mir hat es regelrecht den Schalter umgelegt:

Die Begegnung mit Wendy Lee und ihrem Team war sehr herzlich und auf Augenhöhe. Ich war eine der Übersetzerinnen, die einzelne Workshops begleitete. Die Wertschätzung, von der bei Lerngeschichten grundsätzlich die Rede ist, wurde hier richtig gelebt. Ich habe mich gesehen und geschätzt gefühlt. Und dadurch habe ich mich getraut, habe übersetzt, bin über mich hinausgewachsen. Mir ist ganz deutlich vor Augen geführt worden, wie sehr es einen Menschen stärken kann, wenn man ihm Wertschätzung und Akzeptanz entgegenbringt. Dies versuche ich seither zu leben. Jeden Tag, mit den Kindern in der Kita und meinen Mitmenschen.

Und mit mir selber.

 

Deine Daniela

Liebe Daniela,

 

bei mir war das natürlich etwas anders. Ich war schon fasziniert von dieser Art der Neuseeländerinnen, aber da ich ja nicht in der Kita arbeite, hatte ich keine Möglichkeit, die Lerngeschichten auszuprobieren. Und so blieben sie für mich lange Zeit sehr abstrakt. Ich habe eigentlich auch gar nicht verstanden, warum es für Kinder so toll sein soll, ihnen Geschichten über sie selbst zu schreiben… Und da es immer als Beobachtungs- und Dokumentationsmethode präsentiert wurde, habe ich mich gefragt, wie es denn mein pädagogisches Handeln leiten und verbessern kann, wenn ich eine Geschichte über einen kleinen Lernmoment schreibe. Es hatte aber immerhin so viel Eindruck und auch so viele Fragen bei mir hinterlassen, dass ich mich für die Studienreise nach Neuseeland angemeldet habe, auf der wir uns dann ja kennengelernt haben. Da ist für mich der Schalter umgelegt worden. Dennoch würde ich gerne noch mal von dir hören, wie deine Erfahrung ist. Was bedeuten die Lerngeschichten für dein pädagogisches Handeln mit den Kindern?

 

Deine Susanne

Teil 2

Liebe Susanne,

 

ja, unsere gemeinsame Studienreise war für mich der nächste „magic moment“. Die Wertschätzung, die ich durch die Neuseeländerinnen und die deutschen Kolleginnen erfahren habe, hat mich gestärkt.

Heute weiß ich: für Kinder Lerngeschichten zu schreiben hat für mich eigentlich so ziemlich alles verändert. Es ist nicht nur ein Dokumentieren von Lernprozessen, es zeigt viel über die Art, wie ich in Beziehung gehe. Ich habe das Gefühl, den Kindern zu zeigen: „Ich sehe Dich!“  Und das ist der Beginn für das gegenseitige Aufeinander-eingehen, Wahrnehmen, Ernstgenommen-werden.

Ich lerne durch das genaue Hinschauen und Schreiben ein Kind nochmal besser kennen. Eigentlich zeige ich dem Kind damit auf, was es alles mitbringt, auch schon kann und weiter übt, und ich entdeckte mich als Lernende. So schreibe ich auch in der Analyse gerne: Was ich von Dir heute gelernt habe.

Das stellt mich nicht über das Kind, als allwissende Erwachsene, ich begebe mich auf Augenhöhe.

Durch die Lerngeschichten habe ich auch größeres Interesse daran gefunden, mich fachlich weiterzubilden. Ich lese heute mehr Fachtexte, tausche mich gerne darüber aus und integriere Zitate in meine Lerngeschichten.

Ich bin der Meinung, dass Kinder gestärkt werden durch dieses positive Feedback. Ich gebe dem Kind die Möglichkeit, sich als kompetenten Menschen zu erleben, sich selber zu reflektieren, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Auch ich reflektiere mich intensiver. Das heißt nicht, dass ich von heut auf morgen die Superpädagogin bin. Es ist vielmehr ein Miteinander-wachsen. Und das bedeutet auch immer mal wieder eigene Rückschritte zu durchleben. Das Gute daran ist, sich dabei mit Kolleg*innen auszutauschen und sich gegenseitig zu stützen.

Lerngeschichten verändern mich in meinem Umgang mit mir und meiner Umwelt. Es ist ein langsamer Prozess, doch ich bin überzeugt: es lohnt sich!

Liebe Susanne, mich interessiert, ob Du die Möglichkeit hast Lerngeschichten zu schreiben? Und was diese bei Dir auslösen

 

Deine Daniela

Liebe Daniela,

 

das ist eine spannende Frage! In meinem Kopf schreibe ich oft Lerngeschichten. Aber ich bringe sie nie aufs Papier (oder in die Tasten).

Als Fortbildungsreferentin sage ich manchmal am Ende einer Fortbildung: „Ihr habt heute so viel erarbeitet und besprochen. Ich habe gesehen, wie ihr aufmerksam zugehört habt, wie ihr interessiert nachgedacht und nachgefragt habt und wie ihr euch über den Austausch in Kleingruppen gefreut habt. Und ich wünsche euch, dass ihr ganz viel davon mit in die Kitas nehmt.“ Wenn ich eine Gruppe hatte, von der ich gemerkt habe, wie sehr sie an die Kinder denken, sich reflektieren und ernsthaft über neue Wege nachdenken, dann bringe ich das auch zum Ausdruck.

Das sind noch keine Lerngeschichten. Aber meistens habe ich dann schon das Gefühl, dass wir am Ende des Tages das Lernen miteinander feiern.

Was ich übrigens in den letzten Monaten bei den Online-Fortbildungen auch immer wieder merke und auch in Worte fasse: die Teilnehmerinnen, die morgens aufgeregt und gestresst waren, dass die Technik sie womöglich überfordert, sind nachmittags oft schon recht souverän. Das zu benennen ist ja auch eine Art Feedback zum Lernen und bestärkt, sich öfter mehr zu trauen.

Also ich schreibe keine Lerngeschichten, ich erzähle sie…

Vielleicht wage ich mich ja auch mal daran, die ein oder andere aufzuschreiben ohne gleich von meinem Perfektionismus zurückgepfiffen zu werden.

Wie gehst du damit um? Wann hast du das Gefühl, dass eine Lerngeschichte gut genug ist?

 

Deine Susanne

Liebe Susanne,

 

Lerngeschichten können viele Formen haben: schriftlich, vertont, vielleicht auch gemalt (Lach!) und eben wie Du mündlich.

Wichtig ist für mich dabei, was ich dem Gegenüber für ein Gefühl dabei übermittle. Es heißt ja so schön, dass man sich Dinge am besten merken kann, wenn sie gefühlt werden.

Für Kinder Lerngeschichten zu schreiben fällt mir leichter als für Erwachsene. Gerade für die ganz Kleinen habe ich grundsätzlich Fotos mit dabei. So können die Kinder eigenständig ihre Ordner betrachten. Wann immer sie mögen. Und meine Erfahrung zeigt, auch die Kleinsten holen sich ihre Mappen und die der anderen Kinder häufig, vertiefen sich, laden mich ein, mich mit ihnen auszutauschen.

Gelungen empfinde ich eine Lerngeschichte, wenn sie mir unter die Haut geht. Wenn ich berührt bin von dem Geschriebenen. Wenn ich das Kind vor mir sehe und mir denke: ja! Das ist sein Weg seine Welt zu verstehen und ich habe es auch verstanden (hoffentlich).

Und wenn mich der Titel und die Analyse, eigentlich alles, überzeugen. Auch die Fotos können viel schon verraten.

Erlebst Du in Deiner Tätigkeit als Referentin Einrichtungen, die mit Lerngeschichten arbeiten? Wie siehst Du Lerngeschichten im Vergleich zu anderen Sprachdokumentationen (Sismik, Seldak..)?

Freu mich auf Deine Gedanken,

 

Deine Daniela